Ich stand relativ früh auf, so gegen 07:30 rum, geweckt von den Kindern und allen möglichen Menschen, die um diese Zeit schon rumliefen. Zum Beispiel Fischer und ein Maler mit Team, der Santiagos Schwimmwesten beschriftete. Ich holte mir im „Küchenhaus“, das weiter hinten am Wald lag, einen Tinto (schwarzen Kaffee) mit einem kleinen Brötchen. „Das muss man in den Kaffee eintauchen, das macht man hier in Kolumbien so“ belehrte mich der circa 11jährige Sohn der Zahnsonnenkönigin (Bericht vorher). OK, sabbere ich halt rum, dachte ich mir. Aber es verlief relativ sauber. Dafür holte mir der kleine Bursche dann verschiedene Früchte der umliegenden Bäume zum probieren runter. Da waren ausgesprochen lecker Früchte dabei, deren Namen ich mir leider nicht merken konnte.
Dann ging ich noch mit Santiago ganz hinter, wo der Wald anfing. Da fing auch gleich ein Berg an, konnte ich auf OpenStreetMap erkennen, aber, erstmal nur steil auf circa 40 Meter hoch. Da oben würde ich mir ein Tsunami-sicheres Haus aus Bambus bauen, wenn ich das tun könnte und hier wohnen würde, sinnierte ich. Santiago griff den Gedanken auf und konkretisierte ihn gleich zu einem interessanten Angebot. Absolut bedenkenswert!
Dann gab es noch ein richtig dickes Frühstück obendrauf, ich schaffte nicht alles. Ich hatte für heute ja noch vor, von Guachalito zu Fuß nach Jovi zu laufen. Santiago meinte, sein Bruder würde das auch machen, er selber war den Weg aber nie gegangen und er meinte, es würde circa 1 ½ Stunden dauern. Als Vorbereitung für den Fußmarsch war so ein kräftiges Frühstück natürlich ideal!
Ich ging dann auch gleich los, Santiago wollte mich in Jovi abholen und ich konnte mit ihm dann weiterfahren nach Nuqui. Erst ging es am Strand entlang, recht angenehm und wunderschön.
Aber schon bald wurde es am Strand felsig, so dann man in den Wald ausweichen musste. Damit hatte ich eher nicht gerechnet, es sah vom Boot immer so aus, als wenn man große Teile am Strand laufen könnte. Das war aber nur der erste Teil. Dafür hatte ich wiedermal die völlig falschen Schuhe an. Die Beach-Schuhe fand ich nicht so ideal, weil die unten Löcher hatten. Wenn ich versehentlich auf einen dieser giftigen Frösche latschte (trotz ihrer kräftigen Farbmarkierung) dann waren die Löcher ja eher nicht dienlich, dachte ich mir. Daher lieber die Schlappen. Aber darin fand man weder Halt, noch hatten sie Gripp, noch stellten sie einen Schutz gegen Schlangen und sonstiges Viechzeug dar. Trotzdem wollte ich weiter, auch wenn aus dem Weg ein Pfad und aus dem Pfad dann ein durch umgefallene Baumstämme versperrte und durch den knöcheltiefen Baaz verlaufende Spur wurde. Ich kämpfte mich durch, ganz langam und bedächtig.
Ich besorgte mir noch einen Stock. Das war ein außerordentlich wichtiges Teil. Um durch „vorklopfen“ die Schlangen und Co zu verscheuchen und als wichtige Stütze über Felsen und steilen Gelände. Aber mein Stock war ein Stöckchen und krumm gewachsen. Es kam dann glücklicherweise eine Finka (nur per Boot zu erreichen), wo ein Jugendlicher in Strandnähe arbeitete. Ich ging hoch zum Haus und bat den Jungen, mir einen gescheiten kräftigen Stock mit der Machete zu schlagen, was er freundlicherweise machte. Ein Mann kam aus dem Haus und sprach in Englisch mit mir. Er warnte mich, ich solle Gas geben, denn, die Flut war am kommen. Da waren dann sonst begehbare Strandteile nicht mehr begehbar und weiter in Richtung Jovi der Fluss auch nur noch „durchschwimmbar“ und nicht mehr durchwatbar. Vor dem Fluss warnte er mich noch besonders vor den Blutegeln. Ich sollte nicht stampfend durch das Wasser gehen, sondern die Beine möglichst im Wasser schleifend bewegen, so dass es wenig Plätschern und Wassergeräusche gäbe. Ansonsten hätte ich gleich ein paar Blutegel am Wadl. Das wollte ich natürlich vermeiden…
Ich ging weiter und ich war HEILFROH um den starken Stock, den mir der Junge schlug. Denn sowohl am Strand, zwischen messerscharfen Felsen aus schwarzem Vulkangestein, als auch im Wald, schwankend auf Holzstücken durch Sumpf, oder den Abhang rauf oder runter, der Stock war total wichtig, ich hätte es ohne nicht unbeschadet geschafft.
Der Weg zog sich und zog sich. Immer wieder raus auf den Strand, bis es nicht mehr weiterging, wegen der Felsen, dann wieder rein in den Wald und da weiter. Irgendwann öffnete ich vor mir eine Flussmündung. Genial, ich hatte es fast geschafft. Wobei die Strecke den Fluss entlang noch schwierig war, wegen der scharfen Felsen, oder auch wegen dem tiefen Schlamm und Baaz. Das vorankommen war mühsam und ich war von oben bis unten total dreckig. Da hörte ich plötzlich von weiter vorne das wütende Bellen eines Hundes. Ich sprach ihn freundlich an und beugte mich nach unten, der Schwanz wedelte und er kam näher. Wir freundeten und schnell an und er zeigte mir tatsächlich, wo die Furt war. Er wartete auf mich mitten im Fluss, weil ich seine Hilfe erst nicht verstand. Er stand im Wasser und wartete auf mich, bis ich es kapierte. Ich zog schnell meine Beach-Schuhe an, denn, ich wollte möglichst schnell und ohne „schwarzen blutrünstigen Anhang am Wadl“ durch das Wasser kommen. Mit den Schlappen im Baaz, das funktionierte nicht und barfuß wollte ich wegen der Egel auch nicht mehr laufen. Aber die Durchquerung funktionierte hervorragend. Auf der anderen Seite angekommen musste ich mich noch durch den Schlick hoch zum Strand kämpfen.
Ich lief den Strand weiter, bis zu einem kleinen einfachen Häuschen aus Holz, da war der Hund her und eine freundliche schwarze Frau kam raus und bot ihre Dienste als Gastgeberin ihres kleinen Hotels an ( Posada Dona Ines Jovi de Marielin). Sie sagte, sie hätte mich schon die ganze Zeit beobachtet und auch gesehen, wie mir ihr Hund freundlicherweise die Furt zeigte. Da wollte ich unbedingt nochmal hinkommen zum Beispiel nächstes Jahr. Dann dort ein paar Nächte verbringen. TOTAL ruhig, dann der Fluss, der in das Meer strömt. Sicher super interessant, wenn die Flut kommt, dachte ich mir. Bei Flut war das Meer auch direkt vor dem Haus. Sicher auch reizvoll, so direkt am Meer zu schlafen, Luftlinie 5 Meter.
Ich ging weiter, den Strand entlang nach Jovi. Ich war schon erschöpft und total dreckig. An der „Wartehalle“ für Boote, an der ich letztes Jahr bereits einmal war, da hängte ich meine Hängematte auf und machte erstmal Pause. Leider total nassgeschwitzt im Wind, was ich später bereute. Ich holte mir einen Schnupfen und sogar Fieber. In Zeiten des Corona super ungünstig…
Nach einiger Zeit kam eine ältere und wohlbeleibte Frau, die einen dicken Topf mitschleppte. Eine zweite Frau kam, mit Holz und zwei Steinen. Ich fragte sie, ob es ein Problem wäre, wenn ich mit meiner Hängematte da so rumhänge. Sie meinten, wenn mich das Feuer nicht stört, dass sie gleich machen würden. Natürlich nicht. Sie brachten noch große Blätter aus dem Wald, entfernten die Rinde eines speziellen Astes (als Leine) und schon starteten die Produktion von Tamales, gefüllte und in Wasser gekochte Teigtaschen.
Das war interessant zu beobachten und recht kurzweilig. Die Frauen (es wurden immer mehr) machten ihre Späße mit mir. Zum Beispiel fragte eine, warum ich allein wäre. Ich antwortete, ja, eine Kolumbianerin ginge mir noch ab für mein Glück, worauf sie sofort lauthals zum Haus gegenüber schrie (100 Meter entfernt) und ein junges Mädel dazu bewegen wollte, mich mal anzusehen. Die wiederum entgegnete sofort und lautstark, sie wolle lieber einen Jungen aus dem Chocó, was ich ganz gut nachvollziehen konnte. Das verbandeln würde in Kolumbien manchmal recht schnell gehen…
Dann kam noch ein weiß angezogener Unsympath in merkwürdigen pechschwarzen kniehohen Strümpfen dazu. Erst redete er mit den Frauen, warum ich hier rumhänge, wie Santiago (mein Skipper) dazu käme, mich hierher zu bringen und so weiter. Vermutlich nervte es ihn, dass ich in Jovi (bis auf zwei Flaschen Wasser, die ich kauft) keinen Umsatz machte. Ich fragte ihn, ob es ihn störe, dass ich hier bin. Er machte die Musik, die er über einem kleinen mitgetragenen Bluetooth-Lautsprecher abspielte, leise und schaute mich nur intensiv an. Dann machte er die Musik immer lauter und lauter, direkt hinter mir, aber ich dachte mir, „so nicht Bursche“, blieb einfach in der Hängematte und ignorierte ihn. Interessanterweise verzogen sich die alten Frauen auch in den hinteren Teil des überdachten Bereiches, wie wenn sie in Deckung gehen würden. Ich hielt durch, nach einiger Zeit machte er die Musik aus und verzog sich sogar, was ich eher nicht erwartete. Daraufhin fragte ich die Frauen, ob ich gehen solle, sie verneinten. Wunderbar, ich blieb, bis das Boot von Santiago sichtbar wurde, packte mein Zeug ein und stapfte den Schlick und unschönen Steinstrand raus bis zum Boot, stieg ein und Jovi war hinter mir. Komischerweise hatte ich bereits letztes Mal in Jovi eine „schlechte Chemie“ verspürt. Keine Ahnung ob ich mir Jovi nochmal gebe…
Bei der Rückfahrt war das Meer glatt und Santiago konnte mit seinem neuen Boot und größerem Motor richtig Gas geben. Ich ging ins Hotel und hatte endlich wieder Internet. Claro-Telefonkarten sind im Chocó nichts wert. Mobilstar oder Moviestar, Namen vergessen, die funktionieren hier viel besser. Gut zu wissen, dachte ich mir. Für ein nächstes Mal.
Im Hotel strömte dann eine große Anzahl recht unangenehmer Nachrichten bezüglich Corona auf mich ein, die mich quasi die ganze Nacht beschäftigten. Kolumbien wollte ebenfalls, wie viele andere Länder, ab 16.03. alle Flugverbindungen nach Europa streichen, mein Flug würde erst am 24.03. gehen. Blöd. Meine Versuche, mit der Fluggesellschaft Kontakt aufzunehmen schlugen fehl. Auf der Webseite von Avianca stand dann auch, dass die Telefonzentrale überlastet war, was gut nachvollziehbar war. Alle wollten noch irgendwie nach Europa zurück. Inklusiv mir. Daher beschloss ich in der Nacht, dass ich so schnell wie möglich nach Medellin fliegen würde und sagte auch bei Paula und Germán in der Kaffeezone ab (um 05:30 in er früh, die armen…) Aber klar, sie verstanden.
Über die Internetseite der Fluglinie Saint Germain war natürlich wieder nichts zu wollen, keine Chance. Ich musst das Ticket persönlich kaufen, um von Nuqui mit einer dieser „kleinen Kisten“ nach Medellin zu kommen.