Ursprünglich sollte es um 09:00 losgehen, aber Santiago informierte mich per WhatsApp, dass sich die Abfahrt auf 10:30 verschob. Mir war es recht, denn, dann konnte ich noch in aller Ruhe frühstücken und alles ein wenig relaxter angehen.
Paula und Germán pickten mich beim Frühstück auf und setzten sich noch dazu. Bis der Skipper Santiago höchstpersönlich zum Aufbruch scheuchte und wir das Boot enterten. Seine sympathische Frau hatte Santiago diesmal ebenfalls mitgenommen, als zusätzlichen Passagier. Das war natürlich vielversprechend bezüglich der Tour, wenn er schon mal seine eigene Frau mitnimmt, dachte ich mir.
Der Pazifik machte seinem Namen diesmal alle Ehre, er war wie ein Spiegel, die warme feuchte und so würzig schmeckende Luft strich durch den Fahrtwind auf höchst angenehme Weise an unseren Nasen vorbei. Dieser Geruch auf dem Pazifik ist schon was Besonderes. Feinwürzig und intensiv, so milde und doch kräftig. Schwer zu beschreiben.
Die Fahrt verging schnell, wir fuhren vor Jurubida dann einen Fluss hoch, dessen Namen ich bis jetzt nicht rausfinden konnte. Ich hatte meinen OSM (Open Street Map) GPX-Tracker eingeschaltet und stellte fest, dass sogar die extra gekaufte OSM-Karte bezüglich der Flussverläufe recht ungenau war. Der GPS-Track, der alle 10 Sekunden einen Wegepunkt definierte, zeigte recht deutliche Abweichungen von bis zu 100 Metern. Trotzdem ist OSM und die Kolumbienkarte + zusätzlich die Höhenlinien eine sehr wertvolle Anschaffung. GoogleMaps kann man hier TOTAL vergessen, da findet man nichts.
Der Santiago heizte den kleinen Fluss doch recht forsch hoch und bremste sein Boot nur ab, wenn ab und zu Indios mit ihrem Kanu passiert wurden, damit die Wellen unseres Bootes das Kanu nicht umwarfen, oder wenn Fischer in Sichtweite waren, damit er ihren Jagderfolg nicht schmälerte. Der Fluss wurde immer enger, mit immer weniger Wasser und immer mehr Bäumen im Wasser, so dass Santiago oft recht schnell reagieren musste und den Außenborder regelrecht aus dem Wasser reißen musste, damit er mit der Schraube nicht auf die Bäume aufschlug. Was ihm nicht immer gelang und was dann auch immer recht deutlich zu hören war. Die letzten Meter ging es nur noch ganz langsam voran, da im Wasser alles voller Baumstämme und Steinen war, so dass an „Vollgas“ nicht zu denken war.
Plötzlich öffnete sich nach einer Windung eine weite Lichtung und es lagen einige Kanus am Strand, Kinder spielten im Wasser. Wir waren am Dorf, das uns Santiago zeigen wollte, circa 15 Km vom Meer entfernt. Eine riesige Treppe erschloss einen Weg hoch zum Dorf. Völlig unverhältnissmäßig. Wir versammelten uns in einer Art von runden Empfangshütte. Einer der Dorfbewohner, der super spanisch sprach, nahm sich unser an und wir zogen, nachdem wir eine kühlende Kokosnuss geschlürft hatten, hoch ins Dorf. Wenn die Indigenen miteinander redeten, dann hörte sich das eher wie eine asiatische Sprache an. Sehr schnell und absolut unverständlich. Aber auch interessant, nur fremd.
Sie hatten sich einen Generator besorgt, mit dem sie das Dorf am Abend mit Strom versorgten. Aber das interessanteste war wohl eine Art von Pranger. Der diente immer noch aktiv zur Disziplinierung der Dorfbewohner. Wer stiehlt oder seine Frau schlägt, oder nicht zur Gemeinschaftsversammlung kommt, der muss mit einem Tag dieses „Prangers“ rechnen, so wurde uns erklärt. Der schwere obere Balken wird gehoben, beiden unteren Füße werden in die Löcher des Prangers gesteckt und da verbringt der „Sträfling“ den Tag, voll in der Sonne. Der nette Dorfbewohner der uns rumführte meinte, dass dies ein gute Werkzeug darstellen würde, da es dadurch im Dorf praktisch keinerlei Kriminalität gäbe.
Nach einer ausführlichen Dorfbesichtigung gab es Mittagessen, von den Muttis des Dorfes gekocht. Eine leckere Gemüse/Hühnersuppe, die recht fremde und für mich undefinierbare Geschmäcker und Kräuter beinhaltete. Lecker war es, nur ein wenig fremd. Und viel war es auch, denn es gab auch noch Hühnchen mit Patacones und Reis. Ich schaffte nur einen Bruchteil. Das war mir sehr unangenehm, denn, da steckte viel Arbeit drin. Die Jungs hier waren außerordentlich sympathisch und die Idee, hier ein paar Nächte zu verbringen gefiel mir gut. Die Namen der Jungs waren für mich definitiv „unmerkbar“, weil so kompliziert. Einer meinte, dass es ein großes Vergnügen wäre, schon um 06:00 Uhr in den Wald zu gehen, weil man auf diesem Wege viele Tiere und Vögel zu Gesicht bekommen würde. Das gefiel mir gut. Ich beschloss, spätestens nächstes Jahr hier ein oder zwei Nächte zu verbringen, vielleicht sogar ein paar Tage später dieses Jahr, wenn sich eine Transportmöglichkeit auftun würde. Das mit den Transportmöglichkeiten ist so ein Problem. Santiago meinte, ich solle halt nächstes Mal mit mehr Leuten kommen, dann könne man sowas schon organisieren und er würde mit dabeibleiben. Der Gedanke gefiel mir gut.
Als wir nach dem Essen und dem Ratsch wieder langsam zum Boot zurückgingen, da waren wir recht überrascht, wie sehr der Wasserspiegel des Flusses in diesen zwei oder drei Stunden gefallen war. Santiago konnte das Boot nur mit Mühe und ohne Motor nach unten stoßen. Wir hatten zu viel Tiefgang. Aber es gelang ihm, das Boot zu bewegen, ohne dass wir aussteigen mussten.
Weiter unten ging es dann wieder besser und er konnte mit dem Motor fahren. Da legte er gleich wieder so einen Affenzahn zu, dass einem anders wurde. Denn, es waren nach wie vor und stärker als bei der Hochfahrt, Baumstämme und Felsen quasi direkt unter der Wasseroberfläche verborgen. Da musste er manchmal schnell reagieren. Aber er schaffte es heil raus bis zu den Mangroven, wo er „rechts abbog“ und nicht zum Meer fuhr, sondern quasi von Hinten an das Dorf Jurubida ranfuhr.
Dort zeigte sich geschäftiges Leben und ich stellte für mich fest, dass ich eine völlig andere und falsche Vorstellung von Jurubida gehabt hatte. Es wohnen 800 Menschen dort und im August, bei Hochsaison, da sind es dann auch mal 1000. Das erklärte uns Senor Alirio Gonzalez, ein Guide aus Jurubida, den wir mit „an Board“ nahmen, nachdem Santiago per rufen zum Dorf nach ihm fragte.
Es ging nur über den Fluss, dann landeten wir schon wieder an. Die „Besatzung“ verlies das Schiff, bis auf Kapitän Santiago. Der musste, weil das Wasser so tief war (Ebbe) mit dem Boot raus und dort ankern, bis wir wieder da waren.
Wir stiefelten den Wald hoch, Bächen entlang, vorbei an herrlicher Natur, weiter hoch in den Wald. Nach circa 15 Minuten kamen wir erst zu einer „Badeschlucht“, eine Art von kleiner Klamm, an dessen Wände ein Seil befestigt war, so dass man in die tiefen Gumpen im Klamm gelangen konnte.
Dann ging es weiter zu den Thermalbecken. Das größere Becken war Badewannenwarm, das kleiner Becken war so heiß, dass man nicht einfach schnell reinsteigen konnte und auch nicht lange drinbleiben konnte (hart gekochte Eier…). Ein Wasserrohr aus Bambus versorgte „heiß gelaufene“ Besucher mit einem kühlen kräftigen Strahl kalten Wassers. So pendelte ich zwischen den Becken hin und her und kühlte mich zwischendrin (kostete dann doch immer Überwindung) mit dem kalten Wasser ab. Herrlich! Es war so entspannend, in den Becken zu sitzen, den Vögeln des Dschungels zu lauschen und dem Plätschern des Wassers. So ein friedvoller und wohltuender Ort.
qrf
Auch der Weg nach unten war wieder ein Erlebnis, denn, tropischer Wald ist für mich immer fesselnd und interessant.
Wir kamen auf der anderen Flussseite vor Jurubida wieder aus dem Wald, es öffnete sich eine riesige „Watt-ähnliche“ Zone, weil Ebbe war. Santiago war mit seinem Boot weit draußen und machte sich an, in unsere Richtung zu schippern. Wir gingen ihm auf dem Sand entgegen.
Ein herrlicher Tag neigte sich nach der Rückfahrt nach Nuqui dem Ende zu. Zumindest was die schönen Seiten betrifft.
Im Hotel machte ich mal einen Kassensturz und stellte fest, dass ich mir genau noch das Hotel bis zum nächsten Tag leisten konnte, dann war Schluss. Das hätte bedeutet, dass ich am nächsten Tag abreisen hätte müssen. Das wollte ich definitiv NICHT. Ursprünglich wollte ich ja nur eine oder zwei Wochen bleiben, aber, der Chocó hatte mich gefesselt und so überzog ich mit der Zeit auch mein Budget recht kräftig. Der Santiago kostete auch immer sein Geld, es war nichts mehr übrig. So war mein neuer Plan, dass ich das Hotel mit dem restlichen Geld zahlen würde und ich mich nächsten Tag aufmachen würde, um nach Medellín zu fliegen, nur um da ein wenig Geld abzuheben. Schon ein wenig „versnobt“, aber, diese 140 Euro für die beiden Flüge, das waren mir weitere 1 ½ Wochen hier unten am Pazifik locker wert. Den ganzen Abend versuchte ich (wiedermal) ein Ticket über die Website der kleine Fluggesellschaft St Germain zu buchen, die hier im Chocó und auch in der Kaffeezone mit ihren kleinen Flugzeugen auch abgelegene Orte per Flugzeug erreichbar macht. Leider ohne Erfolg. Das funktionierte generell immer nur dann, wenn es nicht dringend war. Wie wenn die Website spüren würde, dass es wirklich wichtig ist und sagt, NEIN. Es kam immer eine Fehlermeldung, wie wenn beide meiner Kreditkarten ein Problem hätten. Sowas macht ja eher keine gute Stimmung, denn, die Vorstellung hier in Nuqui oder gar in Kolumbien zu sein, ohne die Möglichkeit Geld abzuheben, die war nicht erbaulich. Zumal hier in Nuqui noch nicht mal ein Geldtransfer mit irgendeinem Service möglich wäre. Wenn man wirklich keine Kohle mehr hat, dann kann man nur hoffen, dass es noch genügend ist, um mit dem Schiff in 24 Stunden nach Buenaventura zu fahren und dann dort weiterschaut, wie man an Geld kommen kann.
Ich hoffte, dass ich am nächsten Tag im „St Germain Office“ ein Ticket per Kreditkarte bekommen würde und möglicherweise auch arrangieren könnte, dass ich am selben Tag wieder zurückfliegen könnte.