Das frühe Aufstehen war hier in Kolumbien, wie immer, kein Problem. Ausgemacht war, dass Thomas um 07:00 Uhr zur Unterkunft kommt, um mich abzuholen. Er war sogar relativ pünktlich da (07:30). Aber klar, bis der Kaffee weg war und der Ratsch vorbei war, da war es schon 08:00. War mir egal. Es war eh bewölkt und daher versprach der Tag nicht so heiß zu werden. Es ging los in Richtung Strand, die Straße hinter zu dem Dorf der Schwarzen. Auf dem Weg begegnete uns wieder der sympathische junge Mann von gestern, der mir spätabends noch Auskunft gab, fast an der gleichen Stelle und es stellte sich heraus, dass es einer der Söhne von Thomas war. Wie klein die Welt besonders in so dörflichen Szenarien doch ist… Es ging weiter, durch das Dorf, er grüßte alle und alle grüßten recht lässig zurück. Man kannte sich… (de atraz) Thomas, mein Führer für heute, so wurde mir erzählt, wäre ein Curandero, also ein Heiler und kenne sich mit Pflanzen aus wie niemand anderer. Wisse um deren Heilkräfte und Eigenschaften. Hätte auch ein bekanntes Buch über die Pflanzen im Choco geschrieben. Ein unscheinbarer Mann, ich hätte ihn auf 65 oder älter geschätzt, später stellte sich raus, dass er erst 61 war. Alle, alle Kinder, alle Menschen, die uns begegneten, redeten ihn mit nur wenigen Ausnahmen als „Abuelo“ also Opa an. Er war drahtig und noch recht fit. „Kerndlgfuadat“ würde man in Bayern sagen. Das Dorf bestand aus sehr einfachen Häusern. Es gab einen Kindergarten und auch eine Schule. Die Kinder auf ihrem Schulweg kamen uns entgegen und grüßten Abuelo. Überall liefen Hühner und stolze Hähne rum, Pferde, Kühe und ein paar Ziegen. Es ging weiter zu einem kleinen Geschäft, in dem Thomas noch ein paar Kekse und Saft kaufte. Ich kaufte mir auch Kekse, denn, ich hatte noch nicht gefrühstückt und lud Thoma natürlich ein. 4000 COP in Summe.. Zu trinken hatte ich eine Flasche Wasser dabei, das sollte genügen. Es ging noch kurz bei einer seiner Töchter vorbei, die lethargisch (wie die meisten) in ihrer Hängematte lag und tendenziell grüßte. Dann ging es weiter, am Haus vom Thomas vorbei, das letzte Haus im Dorf, das aus geschätzt 15-20 kleinen Häuschen bestand. Er zeigte mir seinen Fischteich, seine Garnelenzucht die gerade brach lag und es ging weiter. Einen Pfad entlang in Richtung eines Bachbettes, dann weiter im Bachbett des praktisch ausgetrockneten Baches, der eigentlich (so Thomas) längst wieder Wasser führen sollte, aber er wisse nur einmal in den 80gern ein Jahr, das so trocken war wie dieses Jahr. Also nicht nur bei uns ist diese Merkwürdigkeit im Klima, auch in Kolumbien. Scheint soch ein globales Problem zu sein.
Weiter ging es im Bachbett, immer höher und auch steiler. Durch Gumpen watend, an glitschigen Wänden hoch, so dass man mit den Händen mithelfen musste. Mein Schlappen waren definitiv NICHT die richtigen Schuhe, denn, jetzt, wo die Füße nass waren, da war es vorbei mit dem Grip zwischen Fußsohle und Schlappen. Das bewirkte, dass ich immer wieder aus dem Schuh rutschte und dabei den „Nippel aus der Lasche“ zog. Jedes Mal musste ich den Schlappen wieder reparieren. Als mir Thomas dann immer wieder die grellbunten kleinen giftigen Frösche zeigte, die unter Blättern direkt auf unserem Weg saßen, da bereute ich es noch mehr, keine vernünftigen Schuhe dabei zu haben. Wobei, Thomas selber hatte auch nur Clogs an, die zumindest vorne ein wenig Halt und auch etwas mehr Sicherheit vor dem Kontakt mit den Fröschen boten. Aber die kleinen Frösche waren sehr scheu und flohen sofort wenn sie Erschütterung spürten. Meist unter Blätter, so dass ich immer vorsichtiger wurde wohin ich stieg. Ich wollte nicht aus dem Schuh raus auf einen solchen Frosch rutschen. Aber das hört sich an wie wenn das mein Fokus gewesen wäre. Dem ist nicht so. Es war landschaftlich so schön, da störte kein Regen, da störte keine von Schmutz und Feuchtigkeit quasi undurchsichtige Brille, die vor lauter Schwitzen und Regen aussah wie in der Sauna, da störten keine giftigen Frösche und glitschigen Schuhe. Nichts störte, auch nicht die Anstrengung des steilen Aufstiegs bei der Hitze und Luftfeuchtigkeit, alles wog die Schönheit NICHT auf. Es war unglaublich schön. Immer wieder blieben wir stehen, Thomas machte mich auf Tiere oder Pflanzen aufmerksam. Affen, Vögel, Heilpflanzen.
Plötzlich hörten wir Motorsägen. Im Dorf von Thomas, so erinnerte ich mich jetzt, war im Wald oben der dumpfe schwere Aufschlag eines großen Baumes hörbar gewesen. Wir fragten uns, warum so ein riesiger Baum wohl so einfach umfallen würde. Die Motorsäge erklärte es. Das war zwar nicht mehr im Naturschutzgebiet, aber trotzdem kann man nicht so einfach Bäume fällen im Wald… Thomas wurde traurig und wir nahmen ein kleines Statement von ihm auf Video auf.
Es ging weiter und weiter den Bachlauf hoch. Der Weg war so einfach, weil er so schön war. Ich vergaß dabei, die Dornen, die sich immer wieder durch die viel zu weiche Schuhsohle drückten. Ich hatte jedes Mal Glück und merkte es, bevor sich die Spitze in meinen Fuß bohrte. Der Regen hörte irgendwann auf und die Sonne brach durch. Jetzt war es zwar viel schöner, aber die Hitze steigerte sich auch spürbar. Oben ging es dann einen Weg weiter, der weg vom Bachlauf, erst ein Stück querte, dann langsam wieder nach unten führte. Vorbei an Bambuswäldchen, an den unterschiedlichsten Palmen und einer unglaublich wuchernden Natur und Pflanzenwelt. Herrlich! Immer wieder verharrten wir beide still und sogen die Atmosphäre in uns auf. Glücklicherweise mussten wir den Flusslauf nicht zurück, denn, das wäre wirklich schwierig geworden mit meinen Schuhen. Klar, das letzte Drittel führte der Weg ebenfalls wieder im Flusslauf zurück, aber, da war es dann nicht mehr so steil. Es ging zurück zum Haus von Thomas und dann weiter in das zweite Reservat, das an der tosenden Küste mit der starken Brandung lag. Dort gab es ein Refugium, das wurde geführt von einer Frau (Namen vergessen), die auch gerade drei junge Praktikantinnen dahatte. Eine Spanierin, eine Mexikanerin und eine Französin. Die verabschiedeten sich gerade zum Strand. Das waren die drei Mädels, die mir gestern zweimal am Strand begegnet waren mit einem jungen kolumbianischen Mann, sehr weiß, ein Paisa schätzte ich, also jemand aus Medellin. Ich grüßte den Typen zweimal recht freundlich und erntete jedes Mal nur einen sehr unfreundlichen, abweisenden und kalten Blick zurück. Was für ein Arschloch dachte ich mir. Vermutlich so ein reicher Pinkel, der Vater vermutlich Drogenmilliardär, schon als Kind ein verwöhntes Monster, die Fantasie ging mit mir durch, aber, auch ein durchaus realistisches Szenario. Und junge Mädels haben oft eine Vorliebe für gutaussehende Bösewichte, die dann nur für sie auch mal nett sein sollen, ausnahmsweise und nur für sie. Das war mein Klischee des gestrigen Tages, das heute relativiert wurde, durch die Tatsache, dass die drei Mädels Praktikantinnen in diesem Projekt waren. Die Frau führte mich durch ihren großzügigen Bio-Garten. Sie verkaufte ihre Waren, wie Gewürze, Marmelade und vieles mehr, an interessierte Kunden und schien recht gut vernetzt mit Organisationen und ähnlichen Projekten. Wusste viel zu erzählen über die spezielle Lage hier an der Grenze zu Panama, die vielen Flüchtlinge, die hier ohne Ahnung vor der wilden Natur, sich nach Norden durchkämpfen wollen, was sehr viele mit dem Tod bezahlen…
Sie war sehr gastfreundlich, lud uns zu verschiedenen Säften ein, auch der „spezielle“ Saft, der die Libido fördern soll (bei mir momentan eher nicht angebracht) macht dann noch ein kurzes Videostatement über ihr Projekt und schon ging es weiter.
Wieder zurück, über den Bachlauf, der uns heute mehrmals begegnete, es war immer der gleiche Bach. Dann einen engen, teilweise steilen und etwas ausgesetzten Pfad durch lichte Wäldchen am Hang entlang, später, schon näher an der tosenden Brandung, ein mit zahlreichen Löchern durchsetztes Dickicht. In den Löchern hausten die Krabben. Aber bei der dauernden Trockenheit war nicht viel von ihnen zu sehen. Die hatten sich vermutlich ganz tief in ihre Erdlöcher zurückgezogen, weil es da feucht und kühl war.
Am Strand (Name hab ich vergessen, ist aber identisch mit dem Flussnamen, weil der Fluss da ins Meer fließt) war viel Holz, Unrat wie zerbrochen Plastikstühle, Flaschen, einfach alles was entweder die See anspülte, oder der Fluss liegen ließ, wenn er denn mal Hochwasser hatte. Trotzdem war der Strand sehr schön, in seiner Wildheit. Draußen schlugen die Wellen voll an, am Strand selbst waren sie zwar noch groß, aber nicht mehr so riesig. Schwimmen hätte ich da nicht gewollt, Thomas riet mir auch ab, wegen der starken Rückströmung der Wellen. Wir spazierten den Strand entlang, Thomas ging immer schneller und schneller. Nur einmal zwischendrin stoppte er, ergriff sich ein Blatt eines ungenießbaren Limettenbaums, steckte es zwischen seine Lippen und begann damit wie eine Gayta zu spielen, eine Art von Cumbia oder Vallenato. Beeindruckend, nur mit einem Blatt zwischen den Lippen. Er meinte, es würde mit jedem Blatt gehen, aber am besten mit den Blättern dieses Limettenbaums.
Thomas ging immer schneller, je näher wir dem Dorf kamen. Ja, er hatte vermutlich auch gehörigen Hunger, es war schon nach 12:00. Wir entschieden uns für das letzte Lokal der drei am Strand befindlichen, weil wir da mit dem Weg auch rauskamen. Ich kannte es nicht und daher war es interessant, obwohl der scheinbare Besitzer, ein hoch gewachsener Mann europäischen Aussehens, mir sehr unsympathisch schien. Wie er mit den Leuten sprach, wie ihm die Leute begegneten, so ehrfürchtig und respektvoll. Wie er beim Gestikulieren beim Reden immer wieder mit dem Finger so aggressiv auf die Leute zeigte. Aber klar, alles Vorurteile. Vermutlich war der junge Rotzlöffel mit seinen drei Mädels, der einem Gruß nicht begegnen konnte, auch ganz nett, wenn man ihn kannte und nicht der augenscheinliche Kotzbrocken. Alles Vorurteile! Aber natürlich gibt es auch die Arschlöcher und Narzisten, vor denen man sich schützen definitiv muss.
Es gab im gewählten „Restaurant“ nur ein Gericht „zur Auswahl“. Fleisch mit Reis und gequetschte frittierte Kochbananen, ein wenig Salat und vorher eine Suppe. Aber bis wir das dann endlich auf dem Tisch hatten, da mussten wir fast eine Stunde warten. Es wurde alles frisch gekocht für uns. Was für eine edle Angelegenheit! Nur, wenn man Hunger hat ist schnell Schluss mit edel, da kann es dann eigentlich nicht schnell genug gehen. Aber, es war bestellt, wir beobachteten beide die Köchin durch das große offene Fenster von der Veranda zur Küche, wie sie gemächlich und gelassen die einzelnen Schritte durchführte und tranken ebenfalls gemächlich unser Bier. Aber es war dann recht lecker, das Warten hatte sich gelohnt. Das muss ja nicht so sein, selbst bei frisch gekochten Gerichten. Thomas war schneller als ich. Alles zusammen kostete 30.000 COP, also deutlich unter 10 €. Wie immer, trotz der „Insellage“ und der dadurch komplizierteren Beschaffung der Waren, sehr günstig.
Es ging dann zurück zum Hostel, ich stank entsetzlich und wunderte mich, denn, ich hatte ja kein Schweinefleisch gegessen. Normalerweise hatte ich wenig Körpergeruch. Aber das war mir schon nach der Überfahrt von Necocli aufgefallen. Der schreckliche Gestank meiner Kleider (dachte ich zuerst). Zufällig roh ich dann auch mal an der indischen Holzkette und wusste endlich woher der Gestank kam. Es war nur die Holzkette, die durch die ständige Nässe langsam zum modern begann. Ich war erleichtert! Ich bezahlte dann noch den Thomas (ich gab ihm 50.000 COP anstatt der ausgemachten 30.000 COP) und bedankte mich, denn, ich war sehr zufrieden mit der Tour. Ging mit ihm noch bis zurück zum Strand, da verabschiedeten wir uns herzlich und schon war ich im Wasser. Sicher eine halbe Stunde lang, dann ging es hoch zur Siesta. Die war lange und intensiv, nach der anstrengenden Tour. Am Abend kaufte ich noch schnell das Ticket für Necoclí (55.000 COP) und das war es dann auch. Edison wurschtelte irgendwo hinten in seinem Grundstück rum, Marcella hatte einen riesigen Berg Wäsche und keiner hatte Zeit für mich. Nur die kleine Katze schrie die ganze Zeit und langsam bekam ich echt Mitleid mit ihr. Die war, seit ich da war, nur am Schreien.
Morgen wird es stressfreier als gedacht, denn, das Boot zurück geht erst um 11:00. Die fahren immer die Strecke Necoclí =>Trigana => Sapzurró => Trigana => Necoclí. Edison und Maricella dachten, dass ich nach Sapzurro wollte und dann hätte ich um 09:00 Uhr fahren müssen. Da ich zurück fahre nach Necoclí reicht 11:00 Uhr und ich spare mir auch die nervige und viel längere Schaukel- und Wildwassertour über Sapzurro.